Münchenfahrt des gemeinsamen Musik-LK der K12 von Siebold- und Riemenschneider-Gymnasium
Sechs bildungshungrige Musikschüler, die sich in Erwartung einer impressionsreichen und doch entspannten – hatten sie doch gerade erst am vorigen Tag die praktische Klausur in Musik hinter sich gebracht – Studienfahrt um 11.30 Uhr vor dem Würzburger Hauptbahnhof mit ihrem Lehrer trafen ahnten noch nicht, dass das Reiseziel München in den nächsten vier Tagen genau jene Gratwanderung zwischen Erholung und Weiterbildung mühelos bestreiten würde.
Nach dem Einnisten im Meininger Hostel war der erste Programmpunkt des Donnerstagabend eine Einführungsveranstaltung zu einem Sinfoniekonzert der Münchner Philharmoniker, das am Freitag besucht werden sollte.
Im Anschluss daran stand ein Jazzkonzert auf dem Programm. Klima Kalima und seine Band polarisierten die Meinungen des LK, wobei sich auf der Gegnerseite nur eine widerstrebenede Person befand, der die Melodieführung nicht ganz nachvollziehbar und der Gesamtklang einer klassischen Ästhetik zu entbehren schien. Doch Gewöhnung und mit ihr einhergehendes Verständnis haben eine unglaubliche Kraft, was sich auch bei der Musik der Moderne unter Beweis stellte. So bröckelte bis Sonntag das konservative Schönheitsempfinden der erwähnten Person bis zu dem Punkt, dass sie Pläne über eine Komposition frei von allen tyrannischen Zwängen der biedermeierschen Konzeption plante.
Wie bereits erwähnt spielte dafür die Gewöhnung an die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts eine große Rolle. Sie ergab sich aus der dichten Frequentierung von Unternehmungen, die genau dieser Zeit gewidmet waren.
Dafür musste zunächst, am Freitagvormittag, die Ausstellung „Der blaue Reiter“ und der Kunst Rupprecht Geigers besichtigt werden, die einen sanften Einstieg im Bereich der bildenden Kunst in avantgardistische Prinzipien boten.
Beim nachmittäglichen Beisitzen des Symposiums der Bayern4-Aktion “musica viva” zum Thema “Notwendigkeit des künstlerischen Experiments”, mussten die sechs, bisher geschont gebildeten Musiker, schon härtere intellektuelle Kost schlucken. Die Vorträge fingen an, zunächst mit zwei in sich abgerundeten Exkursen, wobei der erste Redner das Publikum in die experimentelle Welt der Neurobiologie entführte, der zweite mit einem langen Atemzug die geschichtliche Entwicklung der Literatur, bildenden Kunst und Musik von der Romantik bis zur Moderne darlegte. Der letzte Vortrag dieser nachmittäglichen Runde stellte die Verwendung erster Aufnahmegeräte bei Musikern bzw. Orchestern und die Reaktion der nun nur hörenden Musikliebhaber als Experiment dar.
Was darauf folgte wissen nur die, die die letzten Vorträge und die Abschlussdiskussion mitverfolgten, d.h. niemand des Siebold-Riemenschneider-Traktes aus dem gegen das Monopoly (Insider, der später Erläuterung findet) provinzial anmutenden Würzburg.
Es kam denn der Zeitpunkt, da die Musiker schon auf die Wellenlänge des amorph modernen Universalkompositionsapparates gehoben worden zu sein schienen, als ein unsäglicher Einbruch in die Sphären der Welt aus Experimenten und deren Notwendigkeit stattfand. Dass genau dieses retardierende Moment vor der Apomoderniose die Münchner Philharmoniker sein sollten, ist nahezu paradox. Geschickt geleitete jene Orchesterelite im Gasteig die fränkischen Zuhörer von Pfaden des Pluralismus ästhetischer Konzepte in ihre alte Festgefahrenheit zurück. Durch Thomas Adès‘ „Asyla“ heuchelte man Aufgeschlossenheit gegenüber dem experimentellen Geist, um ihn nach der Pause mit subtilem Instrumentarium durch die Aufführung zweier Haydn-Symphonien zu verhöhnen.
Neben all diesen Auseinandersetzungen mit dem Gedankengut der musikalisch wirkenden Künstler und deren realen Produkten in Form von Klangerlebnissen kam im konservativen München auch die sozial-gesellschaftliche Komponente speziell durch ungewollt humoristische Einlagen von Ausnahmeerscheinungen zum Tragen. So erheiterte ein vor sarkastischer Ironie strotzender Passant sein Umfeld dadurch, dass er einem ihm fast über die Füße fahrenden Auto durch einen emporgestreckten Daumen und die lautstarke Affirmation „Haste gut gemacht! Hast doch gesehen, dass ich hier vorbei will“ die Verhaltensnorm verständlich zu machen suchte, gefälligst anzuhalten, wenn er bei roter Fußgängerampel beabsichtigte eine Straße mit fließendem Automobilverkehr zu überqueren . Doch auch außerhalb der Rush-hour traf man auf schwer nachvollziehbare Individuen, was die vokale Artikulation und deren zu vermittelnden Inhalt betrifft. So wollte ein Jugendlicher einem unserer Gruppenmitglieder deutlich machen, dass man, sollte man in die Versuchung kommen in Monopoly Schach zu spielen, schon schachmatt, d.h. nicht schachmatt, aber tot sei, wenn man gegen ihn Schach spiele. Zudem begäbe man sich allein durch seine Existenz als Shirgler (ein Wesen, das seine Augen überall hat) in Lebensgefahr, wenn man nach München fahre. Denn verständlicherweise müsste man als Shirgler wegen der oben genannten Fähigkeiten oder allein deshalb, dass man einfach nicht nach München gehöre, getötet werden. Der Jugendliche verriet, dass „ins Auto setzen“ ein bereits bewährtes und vielseitig erprobtes Verfahren sei, um den Shirglern ihre Nichtzugehörigkeit zu Monopoly (München) deutlich zu machen.
Am nächsten Tage traf die unvermeidliche Situation ein, dass die wissbegierigen Schüler sich in zwei Gruppen spalteten. Ein vierköpfiges, den Genuss des langen Ausschlafens präferierende Lager zog den Klassiker vor, den Vormittag erst zu etwas fortgeschrittenerer Stunde im Deutschen Museum zu verbringen, während das sich an musikalischer Fortbildung labende Pack diese Zeit mit Plaisir beim Symposium zubrachte. Von den gehaltenen Vorträgen erscheint einer besonders erwähnenswert, in dem es nicht nur um Faszinationen des alltäglichen Lebens, sondern auch um das universale Phänomen Experiment ging. Der Referent machte z.B. klar, dass der Mensch sein ganzes Leben lang selbst bei banalsten Vorgängen experimentiert und, dass ihn nur dieses Vorgehen befähigt etwas Neues zu erlernen. Darauf folgte die erste praktische Aufführung der Schätze experimenteller Musik im Symposium, die ein Anhänger der auditiven Poesie zum Besten gab. So hörte man ihn eine Reihung verschiedener Zahlen vorlesen, die nach sprachlich-musikalischen Parametern interpretiert wurde und dadurch affektive Aussagekraft erhielt. Die nächsten folgenden Redner waren Komponisten der Avant Garde, die ihr Milieu verteidigten und es leid waren, als Komponisten „experimenteller“ Musik angesehen zu werden. Nach der jeweiligen Zusammenfassung ihrer Tätigkeit als Komponisten, veranschaulichten mehrere Hörbeispiele ihre vornehmlich auf abstraktem Niveau basierenden Idealvorstellungen moderner Musik. U.a. durften die Rezipienten dem Atmen von „das Atmen“ lauschen und ein vierminütiges Werk nach ihrem ganz persönlichem Gusto hören, bei dem sich hinter einem Schleier weißen Rauschens ein orchestrales Konstrukt verbarg, das in Analogie zu der „Farbe“ des Rauschens nur die weißen Tasten des Klavieres als Tonspektrum bot.
Es folgten weitere Abenteuer aus der Welt des avantgardistischen Komponierens. Eine Abschlussdiskussion rundete das Symposium ab, flexiblisierte den Geist abermals für neue Denkrichtungen und konnte dennoch nicht mit der Gravität der Impressionen, die am Abend durch die Aufführung von Czernowins „Pilgerfahrten“ im Herkulessaal der Residenz auf die Zuhörerschaft niederprasselten, mithalten. Dieses virtuelle, abstrakte Klangtheater, wie es die Komponistin selbst nannte, beinhaltete einfach alles, um die Zuhörerschaft an die Grenzen ihrer intelligiblen Kapazität zu führen: von der musikalischen Akrobatik des Dresdner Kreuzchores und der mitwirkenden Instrumentalisten über die Erzählung von Hattifnatten und anderen Fantasiewesen bis hin zu einer symbolischen Transferebene, nämlich den positiven und negativen Seiten der Gruppenzugehörigkeit.
Wohlverdient war für jeden Teilnehmer der Reisegruppe am späteren Abend eine Kostprobe des Augustiner Edelstoffs, die einherging mit einem Revue-Passieren-Lassen der letzten Tage.
Die Euphorie für moderne Musik, die die Musik-LKler bis Sonntag ergriffen hatte, äußerte sich noch auf der Rückfahrt im Zug nach Würzburg , bei der man in Musica-Viva-Zeitungen vertiefte Köpfe über die erneute Präsenz des emotionalen Parameters in der Musik philosophieren hörte.
Ob diese auf alle Tage bestehen wird ist natürlich fraglich, wohingegen sicher ist, dass bei der Studienfahrt des LK Musik für jeden etwas dabei war und man sich nicht zuletzt deswegen gerne an die vier Tage in München erinnern wird.
Malte Gutzeit,Tobias Biernat