„Wenn man das zerstörte Würzburg so gesehen hat, dann hat man nicht geglaubt, dass die Stadt jemals wieder auf die Beine kommen könnte!“
Die Zeitzeugin Margret Altenhöfer berichtet am Siebold-Gymnasium von der Zerstörung Würzburgs am 16. März 1945, dem Ende des „Dritten Reichs“ und dem Einmarsch der amerikanischen Besatzungstruppen.
Frau Altenhöfer, 80 Jahre jung und hellwach, hat viel zu erzählen. Die fünffache Mutter und fünffache Großmutter wuchs im Würzburg des „Dritten Reichs“ auf. Mit 14 Jahren musste sie erleben, wie britische Bomberverbände ihre Heimatstadt in ein Flammenmeer verwandelten und Würzburg fast vollständig zerstörten – mehr als 5 000 Würzburger fanden dabei den Tod. Frau Altenhöfer überlebte die Bombennacht des 16. März 1945 mit ihrer Familie glücklich, wurde dann für die kommenden zwei Jahre bei einem Bauern in Rimpar einquartiert, wo sie den Einmarsch der amerikanischen Soldaten erlebte, die Jahre der Besetzung und des schwierigen Neuanfangs in und um Würzburg.
Der archivpädagogische Arbeitskreis des Siebold–Gymnasiums hatte den 66. Jahrestag der Zerstörung Würzburg zum Anlass genommen, Frau Altenhöfer zu einem Zeitzeugengespräch zu bitten. Das aktuelle Thema des Arbeitskreises „Besiegt, befreit, befreundet? – Unterfranken unter amerikanischer Besatzung 1945 -1949“ bot dazu einen weiteren thematischen Fokus. Schon in der Vorbereitung hatten sich dabei zwei Fragerichtungen herauskristallisiert: „Wie erlebte die 14 jährige Margret die Bombennacht?“ und „Wie gestaltete sich die Begegnung mit den Amerikanern?“ Frau Altenhöfer ließ sich nicht lange bitten und stand uns zunächst mit einer lebhaften Erzählung, dann in einer sehr offen geführten Debatte Rede und Antwort.
Ein Klumpen aus geschmolzenen Porzellantellern und ein geretteter Teddybär
Wie Frau Altenhöfer schildert, war der 16. März 1945 ein warmer, schöner Vorfrühlingstag. Die Würzburger genossen die ersten Sonnenstrahlen. Keiner rechnete mit einem Angriff, obwohl viele andere deutsche Städte längst zerbombt worden waren. Wie auch andernorts hatten sich die Bewohner Gründe zurechtgelegt, warum ausgerechnet ihre Stadt verschont werden sollte. „Würzburg hatte doch keine Industrie, und es war voll mit Verwundeten und galt daher als Lazarettstadt. Viele glaubten auch, dass die vielen Kirchen einen Grund darstellen würden, Würzburg zu verschonen“ erzählt Frau Altenhöfer. Als die Bomber dann doch kamen, zerrte die Mutter Frau Altenhöfer in einen Luftschutzbunker in Grombühl. Der Vater war längst zum Militärdienst eingezogen und irgendwo an der Front. Frau Altenhöfer beschreibt diesen Bunker als sehr solide, denn er ist nicht -wie so viele andere- eingestürzt. Dennoch wurden die Menschen zunächst eingeschlossen: Die Dichtungsgummis der Ausgangstür waren am Rahmen festgebacken – ein schrecklicher Moment für die Eingeschlossenen. Schließlich habe man die Dichtungen jedoch herausschneiden und die Türe öffnen können. „Das werdet ihr nicht wissen, so ein Feuersturm ist nicht nur unglaublich heiß, sondern auch sehr laut“ erklärte die Zeitzeugin ihren jungen Zuhörern. Viele grauenvolle Geschichten hätten sich in der Brandnacht abgespielt, nicht alle will Frau Altenhöfer jetzt preisgeben, nur ein Detail erzählt sie dann doch: Im Lager eines Haushaltsgeschäftes habe sie später einen Klumpen aus zusammengeschmolzenen Porzellantellern gefunden – so heiß sei es gewesen. Porzellan schmilzt ab 1 400 Grad Celsius. Das Elterhaus sei komplett zerstört gewesen, das meiste Hab und Gut vernichtet, nur ihren Stoffteddy habe die damals 14jährige retten können.
Wie ihr Eindruck von Würzburg nach der Bombennacht gewesen sei? Da schüttelt die Dame den Kopf: „Wenn man das zerstörte Würzburg so gesehen hat, dann hat man nicht geglaubt, dass die Stadt jemals wieder auf die Beine kommen könnte“. Tatsächlich habe es ja Pläne gegeben, die Ruinen einfach zu lassen und ein neues Würzburg an anderer Stelle aufzubauen. Das sei für die Würzburger jedoch nicht in Frage gekommen, die hätten sofort entschlossen mit dem Aufbau begonnen. Auch Frau Altenhöfer half mit: Als Trümmerfrau am Sanderring.
Fremd und freundlich
Aber wie verlief das Zusammentreffen mit den amerikanischen Soldaten? Frau Altenhöfer erlebte den Einmarsch der US-Army in Rimpar. Das Zusammentreffen sei von Anfang an freundlich gewesen. Die Amerikaner hätten schon aus ihren Militärfahrzeugen Süßigkeiten verteilt, da seien alle Ängste verflogen. „Die Amis waren freundlich, aber auch schockierend für uns, weil sie so ganz anders waren“, erzählte die Zeitzeugin. Locker, manchmal richtig entspannt sei der Umgangston gewesen, das war die Deutschen in dieser Zeit nicht gewohnt. Und noch etwas war anders: „Manche der Soldaten waren schwarz“, lacht Frau Altenhöfer, „das ist ja für Euch nix Besonderes heute, aber für uns waren es die ersten Farbigen, die wir überhaupt gesehen haben.“ Wie Frau Altenhöfer weiter erzählt, entwickelten sich die Beziehungen zwischen Franken und Amerikanern freundlich. Diese hätten sie und ihre Freunde gar nicht als „Feinde“ wahrgenommen. Frau Altenhöfer wird nachdenklich: „Was ist denn überhaupt ein Feind? Ein Feind ist doch jemand, vor dem man Angst hat. Wir haben aber die Kriegstoten gar nicht auf diese Männer in ihren Khaki-Uniformen bezogen.“
Die Schülerinnen und Schüler kennen aus den Akten des Staatsarchivs Würzburg allerdings auch weniger freundliche Seiten der US- Besatzung und fragen prompt nach: Wie es denn mit Übergriffen der US-Soldaten ausgesehen habe? Ob Frau Altenhöfer auch von Vergewaltigungen gehört habe? Frau Altenhöfer winkt ab: Vergewaltigung seinen kein großes Thema gewesen, obwohl es die wohl gegeben habe, Plünderungen seien wohl vorgekommen. Ein anderes Problem hebt sie jedoch hervor, das ganz anders gelagert ist: Selbstverständlich habe es viele Beziehungen zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Frauen gegeben. Und daraus seien später auch Kinder hervorgegangen. Wie die Deutschen sich dann gegenüber diesen „Besatzerkindern“ und deren Müttern verhalten hätten, das sei eine Schande gewesen. Kein Wunder, dass viele dieser Mädchen ihren Männern nach Amerika gefolgt seien.
Barfuß im Dienst der US-Army
Geradezu beeindruckend sei die gute Versorgungslage der US-Soldaten gewesen.
Während die Mainfranken ständig vom Hunger bedroht gewesen seien und jede Nahrungsquelle genutzt hätten, seien die Amerikaner im Überfluss geschwommen. Frau Altenhöfer erinnert sich, dass sie einmal zu Fuß von Rimpar nach Würzburg und zurück gelaufen sei, nur um zwei Gläser mit eingelegten Gurken zu bergen und dass im Herbst 1945 kein einziges Stück Fallobst mehr auf den Wiesen zu finden gewesen sei. Die Amerikaner hätten dagegen eine richtige „Wegwerfkultur“ gehabt, beispielsweise aus ihren Verpflegungspäcken nur ein Produkt gegessen und den Rest einfach weggeworfen. Da sei für die Deutschen natürlich viel abgefallen, beispielsweise seien Deutsche in der Anfangszeit für die üblichen Hilfsdienste meist in Naturalien bezahlt wurden. So auch Frau Altenhöfer selbst. Da sie die englische Sprache beherrschte, habe sie sich bei der Besatzungsverwaltung als Dolmetscherin zur Verfügung gestellt. Sie erinnert sich noch genau daran, wie sie ins Rimparer Schloss gelaufen sei, wo die Amerikaner ihr Hauptquartier bezogen hatten: Barfuss, denn Schuhe habe sie keine mehr gehabt. Durch diese Tätigkeit habe sie Lebensmittel bekommen, einmal habe ihr ein Soldat eine angebrannte olivefarbene Decke aus US-Army Beständen geschenkt. Daraus habe ihr die Mutter dann ein Kleid genäht. Ein anderes Mal habe sie ein ausgedientes Ballkleid geschenkt bekommen, das sie mit Stolz und Begeisterung getragen habe – mitten auf dem Rimparer Bauerhof. Wie schwierig gerade die Beschaffung von Kleidung gewesen sei, zeigt das weitere Schicksal des glücklich vor dem Feuersturm geretteten Teddybären. Ihn habe die Mutter schließlich auf dem Schwarzmarkt gegen einen Hüfthalter eingetauscht.
Den eigenen Vater nicht mehr erkannt
Frau Altenhöfer wird nachdenklich, als sie gefragt wird, was für sie eigentlich das Schlimmste an dieser Zeit gewesen sei. Mit Blick auf ihre Familie sagt die die Zeitzeugin schließlich: „Wir hatten immer das Gefühl, dass wir mit einem blauen Auge davon gekommen sind“ – immerhin seien Mutter und Tochter gesund durch die Bombennacht und die Nachkriegszeit gekommen. Selbst der Vater sei aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Aber in welchem Zustand! Als er Richtung Rimpar lief, sei sie ihm damals begegnet, ohne ihn jedoch zu erkennen. Er hätte ausgesehen wie ein Sechzigjähriger. So ganz richtig habe er nie wieder ins Leben zurückgefunden. Das sei auch ein Verlust gewesen. Was war noch schrecklich, wollen die Schüler wissen: „Als das mit den Juden herauskam“ antwortet die Zeitzeugin. So richtig klar geworden sei ihnen die ungeheure Dimension der NS-Verbrechen erst durch die Nürnberger Prozesse und die „Reeducation“- Maßnahmen.
Dann lacht sie plötzlich wieder in die betroffen blickende Runde: „Wisst ihr, was für mich richtig toll war? Als unsere Schule endlich wieder anfing.“
Das ist nicht das einzige, was unsere SchülerInnen nicht mehr richtig nachfühlen können….
Zwei Tage nach diesem Gespräch, am 16. März 2011, jährte sich die Zerstörung Würzburgs zum 66sten Mal. Die Teilnehmer des Arbeitskreises nahmen mit den übrigen SchülerInnen und Schülern der Klasse 9a an der zentralen Gedenkfeier mit Oberbürgermeister Georg Rosenthal teil. Während der Reden und des Gedenkens drehten sich unsere Gedanken oft um die Erzählungen von Frau Altenhöfer.
Winne Lotta Weghaus, Bernhard Brunner